Interview: HEISSKALT – "Weniger angespannt, weniger Angst da drinnen"

Von Alisa Knoll | 28. November 2024

Heisskalt sind nach langer Zeit zurück. Gerade vor allem auf den Bühnen der DACH-Region. In München haben wir Sänger Mathias (Matze) vor ihrer Show im Backstage zum Interview getroffen und über persönliche und musikalische Veränderungen, das Live spielen und das kommende Album gesprochen.

Foto: (c) Paul Ambrusch | @xfinalchapterx
Foto: (c) Paul Ambrusch | @xfinalchapterx

Nachfolgend findet ihr das Interview zum Lesen und auch zum Nachhören.

 


OV: Schön, dass du da bist.

Mathias: Gleichfalls.

 

OV: Lang nicht gesehen, unbekannterweise. Es ist schön, euch wieder aktiv zu sehen. Wie geht's euch, wie sind die ersten Shows bzw. wie waren die ersten Shows?

Mathias: Ja, die ersten Shows waren ja im Sommer, da haben wir schon Festivals gespielt. Das hat glaube ich so einen kleinen Vorgeschmack gegeben. Aber ich merke: jetzt ist nochmal ‘ne ganz andere Nummer. Viel mehr Druck jetzt!

 

OV: Auf dir?

Mathias: Ja, weil eigene, längere Shows. Bei Festivals kann man noch so bisschen sagen: “Komm, wir spielen unsere persönlichen Hits und die Sachen, wo wir wissen, dass die Leute Bock haben. Dann sind alle glücklich.” Auch die Slots, die wir hatten, da war jetzt nichts super spätes dabei, dass wir da irgendwie mit viel Licht oder so hätten auffahren müssen. Da konnten wir so lowkey reinschlittern. Jetzt haben wir ‘ne richtig fette Produktion dabei. Wir haben so viel Licht dabei, wie wir ansonsten komplett Equipment dabei hatten und es wurde alles viel länger geplant und vorbereitet. Die Setlist ist viel länger. Da wächst irgendwie der Druck, es dann auch gut zu machen. Vor allem auf der Stimme merke ich: eine gute Stimmhygiene zu haben fällt mir gar nicht so leicht. Und dafür, dass der Druck so immens ist, waren die Shows irre, die ersten beiden. Richtig geil.

 

OV: Auch vom Publikum gut angenommen worden?

Mathias: Frankfurt war völlig verrückt. Die sind von Sekunde eins an komplett abgedreht, rießiger Raum, 1.500 Leute, völlig verrückt. Dass wir nach so einer langen Zeit in so eine Stadt fahren können, die nicht Zuhause ist und dann stehen da so viele Leute, wie heute auch. Das ist verrückt. Gestern waren wir in Hannover, da konnten wir nicht hochverlegen, deshalb war es ein recht kleiner Laden. Aber auch da zu merken: es ist ein bisschen als hätten wir gar nicht aufgehört, nur dass es sich ganz anders anfühlt, auf der Bühne zu stehen.

OV: Wo ist der Unterschied?

Mathias: 6-7 Jahre halt. Ich fühl’ mich mehr, ich fühl’ die anderen mehr. Ich fühl’ alles mehr. Weniger Rausch, mehr "Da sein".

OV: Schön. Klingt ja besser.

Mathias: Viel besser, viel mehr Entscheidung, weniger Reinschlittern.

OV: Also auch bewussteres Wahrnehmen?

Mathias: Total, ja.

OV: Du hast es schon angesprochen. Was kann man denn von einer Heisskalt-Show in 2024 erwarten, wenn du sagst, es ist anders?

Mathias: Ich weiß gar nicht, ob es von außen so anders ist. Ich guck die [Shows] ja gar nicht. Wir haben auf jeden Fall jetzt eine Setlist, da hab ich mir viele Gedanken darüber gemacht. Viel abgesprochen mit unserer Lichtlerin, der Bibi. Ich glaube, wenn man Lust hat, sich darauf einzulassen, dann ist es ein sehr toller Trip.

 

OV: Ihr wurdet ja schon freudig in den Kommentarspalten des Internets erwartet bzw. empfangen. Gibt’s für dich auch eine Band/Musiker:innen, bei denen du sagst, da würdest du dir auch ein Comeback wünschen oder verbindest Nostalgie mit? Ich hab' öfter von euren Fans gelesen, dass sie schreiben, sie fühlen sich wieder mit 16. Überspitzt gesagt waren viele ja noch "Kinder", als ihr, ich nenn' es mal eure “Hochphase” hattet.

Mathias: Jetzt ganz aktuell muss ich sagen, dass ich schon das Linkin Park Comeback total krass finde, weil das eine meiner absoluten frühjugendlichen Helden-Bands war. Es ist auch total berührend, wie sie das machen und dass sie das machen. Wie Emily das singt finde ich ganz groß. Ansonsten haben die meisten der Bands, bei denen ich mir das gewünscht hätte, auch wieder was gemacht. Da gab’s mal so eine Flaute, wo alle zwischendurch aufgehört hatten, u.a. Underoath und Thrives. Dann waren alle wieder da. Ich hab da gerade eher so’n Vertrauen, dass das alles schon wieder kommt. (lacht) Auch dadurch, dass wir das selber gerade machen. Wenn Leute jetzt so sind: “Wir machen Pause, wir wissen auch noch nicht” und du dir denkst, naja, wart mal paar Jahre. Nach 6-7 Jahren denkst du doch: geil, jetzt habe ich wieder Bock.

 

OV: Ich glaube, das ist auch immer die große Hoffnung der Fans, egal wie oft die Bands sagen "Nee, wir kommen jetzt wirklich nicht mehr zurück.”

Mathias: Ja, deswegen war es ‘ne gute Entscheidung von uns, dass wir nicht gesagt haben was Sache ist, weil wir wussten es halt nicht. Vielleicht muss man es dann auch nicht sagen, wenn man es nicht weiß. Einfach sagen: Wir sind gerade leer und machen mal andere Sachen bis wir wieder Bock bekommen.

OV: Es war ja ganz unkommuniziert nach außen, oder?

Mathias: Wir haben schon gesagt, dass wir eine Pause machen und nicht wissen, wie es weitergeht. Das war schon kommuniziert. Aber ansonsten weiter nichts gesagt und auch nicht gewusst.

Foto: (c) Paul Ambrusch | @xfinalchapterx
Foto: (c) Paul Ambrusch | @xfinalchapterx

OV: Ich hab' tatsächlich in den Kommentarspalten auch Leute entdeckt, die euch neu entdeckt haben. Fand ich spannend und richtig cool. Wie würdest du die Band für Leute beschreiben, die euch jetzt erst entdecken? Oder um sie neuen Leuten schmackhaft zu machen?

Mathias: Es ist immer so schwierig zu beschreiben, ne. Ich würde sagen: Wir machen sehr emotionale Musik. Es ist vielleicht jetzt keine Musik zum chillig auf 'ner Party anmachen. Es ist ganz schön trippig, es ist teilweise ganz schön abgründig und sehr mitreißend. Man muss dem zuhören. Ich kann mich schwer unserer Musik, wenn ich sie dann mal höre, entziehen. Ist jetzt nichts für den Hintergrund. Das muss man schon wollen. Das finden wir auch gut so. Ich hab’ jetzt auf jeden Fall wieder gemerkt, auch beim Produzieren des neuen Albums und beim Setlist machen, es sind schon echt starke Songs dabei, es fühlt sich für mich fast so an, als hätte es jemand anderes gemacht, weil das so lange her ist. Da war ich teilweise erstaunt darüber was uns da gelungen ist in unserem jugendlichen Wahn. (lacht)

 

OV: Ist es wie Fahrrad fahren? Man kommt schnell wieder rein und weiß: Hier sind meine Talente und Skills versteckt?

Mathias: Klar können wir das halt, also Spielen. Aber es fühlt sich doch irgendwie anders an. Ich glaube da müssen wir beim nächsten Album auch nochmal sprechen, weil das jetzt natürlich auch ganz anders entstanden ist als alle bisher. Und aus "Corona", "die Band gibt's gar nicht mehr" und "wir nehmen das Stück für Stück auf bis wir wieder auf der Bühne stehen" hat sich das so nach und nach ergeben. Die Platten vorher haben wir immer zusammen aufgenommen, also im gleichen Raum. Da kommt es natürlich noch mehr zur Geltung, was wir als Band im Moment fühlen und wie wir spielen. Aber ich hab das Gefühl, irgendwie sind wir über die Jahre punkiger geworden und irgendwie machen wir uns weniger Gedanken darüber, richtig zu spielen. Ich finde trotzdem, dass wir besser spielen. Weniger angespannt, weniger Angst da drinnen.


OV: Spannend. Sonst würde man ja von seinem früheren Ich oder seiner Band behaupten, ich bin punkig mit ‘Scheiß drauf’-Haltung unterwegs beim Spielen, aber interessanter Twist.

Mathias: (zustimmendes Nicken) Ich habe den Eindruck, dass wir uns früher mehr Gedanken gemacht haben, dass alles richtig ist.

OV: Das kann natürlich auf ne Art auch blockierend sein. Dass es in dem Fall genau das richtige ist, wenn du sagst, du hast Druck.

Mathias: Ich will es natürlich gut machen.

OV: Na klar. Aber wenn man ein bisschen mehr “Scheiß drauf” unterwegs ist, wird es vielleicht bisschen besser, wenn man nicht so verkopft ist.

Mathias: Wir haben, vor allem unser Gitarrist Phil und ich, einfach auch sehr viel andere Musik gehört in den letzten Jahren. Ich glaube, dass es da kein besser und schlechter gibt. Natürlich merke ich, dass ich mit 25 Jahren ‘ne andere Energie hatte, solche Tage am Stück durchzustehen und aus ‘nem anderen Alltag raus, in dem man nicht früh aufstehen muss, sich nur auf das konzentrieren kann, keine Kinder. Das ist auch schon nochmal ganz anders, aber ich find’s cool, dass wir das jetzt noch machen und dass es irgendwie immer noch richtig dolle knallt.

 

OV: Was man mitbekommt, sind alle positiv aus allen Wolken gefallen, als es hieß, ihr kommt zurück. Was es dieses Jahr vielleicht gebraucht hat. (lacht)

Mathias: Wir retten die Welt! (lacht)

 

OV: Du hast gerade schon gemeint das Album ist an verschiedenen Orten entstanden, gab’s einen konkreten Zeitpunkt, an dem feststand “Okay, wir kommen als Band zurück”? Im FUZE Interview hattest du gemeint, entweder machst du die Musik, die du gerade anfängst zu schreiben unter einem anderen bzw. deinem Namen… - War das der entscheidende Punkt?

Mathias: Das waren ganz ganz viele kleine Schritte und Entscheidungen. Es war auch lange unklar. Wir haben ganz lange immer gemacht. Marius und ich haben geguckt: was ist der nächste Schritt? Wir haben dann irgendwann mal auch ‘ne Tour, also die Festivals, gebucht. Duf gut Glück, ohne dass wir eine Band waren. Die uns auch irrerweise genommen haben. Dann wurde der Druck natürlich auch größer. Dann kam Phil doch wieder dazu, der zwischenzeitlich ausgestiegen war. Das sind so viele Stationen, das kann ich nicht so schnell zusammenfassen. Aber ein ganz wichtiger Moment war, den gibt’s auch geilerweise auf Video, der Moment wo wir in einem Proberaum in Berlin standen, nur Lola, Phil, Marius und ich und zum ersten Mal seit 2018/2019 zusammen Musik gemacht haben. Da haben wir ‘Hallo’ gespielt, davon gibt's eine Aufnahme, da hab ich mir gedacht: “Ich glaube jetzt sind wir wieder eine Band” und dann kamen natürlich noch ganz viele weitere Schritte dahin.

 

OV: Eine Band ist ja auch ein zwischenmenschliches Konstrukt, das man fühlen sollte. Es gibt sicher genug Bands, die einfach nur ihr Instrument spielen, aber, korrigiere mich, wenn ich falsch liege, ihr macht den Eindruck, als würdet ihr es auch zwischenmenschlich wollen, das Zusammenspielen.

Mathias: Ja, wir glauben, dass das sehr wichtig ist und es darum auch geht. Zumindest bei der Art von Musik und wie wir sie machen. Ich glaube, das kann man jetzt nicht so Söldner-mäßig runterfetzen. Das geht dann vielleicht mit einer Person in der Band, mal so aushilfsweise. Wir haben jetzt auf jeden Fall gemerkt, wir haben einen recht großen Bassist:innen Verschleiß, sag ich mal. Fingers crossed für Lola, das ist auf jeden Fall richtig geil, dass sie in der Band ist. Ich hoffe das bleibt… Das geht dann schon mal. Aber diese Dynamik zwischen Phil, Marius und mir und insgesamt ‘ne Gruppendynamik auf Tour ist schon glaub ganz viel von dem, was daran auch so spannend ist. Das was es so toll macht, das zusammen zu machen, eine Gruppe zu haben und sich auf die Leute einzulassen und zu erfahren, wie die das sehen. Mit unserer Lichterin, mit unserem Tonmenschen.. wie hören die das, wie sehen die das? Das ist uns schon wichtig, doch.

 

OV: Hast du für dich Kritiker:innen? Also so à la: Zu der Person gehe ich als erstes hin, um neue Musik, neue Projekte vorzustellen; auf deren Meinung du viel Wert legst?

Mathias: Das sind Leute, die keine Ahnung davon haben. Die das nur emotional bewerten und mir nur sagen, ob sie es fühlen oder nicht. So branchenmäßig guckt man so durch eine komische Lupe. Dann will ich ja auch nicht wissen, ob die Snare jetzt da in dem einen Break komisch klingt und man da irgendwie noch 250 Hertz angucken muss, sonder da will ich wissen: “Boah ja hat mich voll reingezogen, hab ich jetzt 10x gehört, find ich mega geil” oder “Hä, ne checke ich nicht, keine Ahnung was du da von mir willst”. Das sind so die Feedbacks, das macht jetzt so gar nichts mit mir. Die bringen mir viel mehr. Das herauszufinden was da jetzt genau das Problem ist, das ist ja dann eigentlich wieder die kreative Arbeit um die es geht und die auch Spaß macht.

 

OV: Hast du Lust etwas zu Malen?

Mathias: Kann ich machen.

OV: Und zwar euer neues Album Cover.

Mathias: Oh.

OV: Es muss nicht perfekt sein.

Mathias: Ja, ich fürchte ich werde es auf gar keine Fall perfekt hinbekommen.

OV: Schade. (beide lachen)

Mathias: Deswegen haben wir auch da jemanden gefragt.

 

OV: Wenn du multitaskingfähig bist, würde ich dir nebenbei noch Fragen stellen.

Mathias: Beim Malen kann ich sehr gut Fragen beantworten.

 

OV: Das Cover hast du im Kopf?

Mathias: Grob, ja. Das ist glaube so schwarz und dann ist da irgendjemand drauf. Ein, zwei Augen noch irgendwie. Nee, ich weiß schon. (lacht)

Zeichnung von Matze
Zeichnung von Matze

OV: Die ersten zwei Singleauskopplungen erinnern sehr an eure Anfangszeiten. Würdest du sagen das Album setzt da an oder wie klingt das Album? Ist etwas komplett neu gedachtes oder ist das eure Handschrift?

Mathias: Es heißt ja “Vom Tun und Lassen”. Wir haben uns schon bewusst dafür entschieden, diesen Namen zu wählen, weil es hat uns auch einen Anker gegeben, als wir nicht wussten wo es hingeht. Da war der Name, der war 2019 schon da, da hatten wir angefangen. "Vampire", "Wasser Luft und Licht" kommen noch aus der Zeit. Die haben wir im Proberaum zusammen geschrieben. Jetzt z.B. “Mit Worten und Granaten” ist ein neuer Song. Das hat uns irgendwie so einen Halt gegeben. Wir wussten, wir machen jetzt diese Triologie fertig. Irgendwie gehört das dazu, auch wenn sich gerade alles total anders anfühlt, als es sich jemals angefühlt hat. Ich find' schon, dass es viele Parallen gibt. Wir sind am Ende auch die gleichen Typen, auch wenn wir andere sind, aber sind immer noch wir. Es klingt anders, weil es anders hergestellt ist, auch wenn die Drums im gleichen Raum aufgenommen sind und viele Instrumente die gleichen sind, hat es auch einen anderen Charakter. Es wurde von jemand anderem gemischt als sonst. Ich glaube um das abschließend zu beurteilen, muss man das wahrscheinlich anhören, wenn das nächste dann raus ist. Ich bin noch viel zu nah dran. Doch, es ist schon neu. Schon neue Wege uns getraut. Es sind mehr so Songs drauf, die nicht so ultra verschwurbelt sind. Ich würde einfach empfehlen sich das zu kaufen und dann anzuhören. (lacht)

 

OV: Das klingt sehr sinnig und nach einer logischen Schlussfolgerung. (beide lachen)

Mathias: Wir haben neulich alle unsere Vinyl zurückbekommen von unserem Ex-Label Chef und haben sie bei mir in Leipzig in einen Raum gepackt. Keine Ahnung, 'ne Tonne Vinyl und CDs geschleppt und allein da habe ich gedacht :“Eigentlich müssen diese Vinyl verkauft werden. Ich weiß gar nicht ob das Haus die Last hält.” (lacht)

 

OV: Du darfst mir noch zwei Songs für unsere Playlist nennen. Ein Song von euch und einen, der euch verbindet oder ihr gerade gemeinsam gern hört.

Mathias: Also wir haben den Sommer über immer “Since U been Gone” von Kelly Clarkson gehört. Der verbindet uns auf jeden Fall. Ich würde einfach der Zugänglichkeitchalber “Wasser, Luft und Licht” nehmen. Wenn einem da die Stimmfarbe gefällt und man damit was anfangen kann, dann kann man da ja noch tiefer rein. Aber ich glaube den Leuten gleich “Mit Worten und Granaten” hinzulegen ist vielleicht bisschen doll. Das ist wie nackt eingeölt mit der Peitsche zum Date kommen. (beide lachen)

OV: Ich seh’ den Vergleich.

 

OV: Danke für deine Zeit und Antworten.