Interview: KIND KAPUTT - "Die Erwartung an mich selbst ist eine der größten Hürden."

von Alisa Knoll | 22. Dezember 2022

KIND KAPUTT - die Leipziger Band mit unverwechselbaren und eindringlichen Post-Hardcore Sound, veröffentlichte im Oktober 2022 ihr zweites Album "Morgen ist auch noch kein Tag" und waren die vergangenen Wochen damit auf gleichnamiger Tour.

 

Wir haben die Band auf ihrem Tourstop in München besucht und uns vor ihrer mitreißenden Show mit Sänger Johannes über ihre ehrlichen Texte, ihre Kritiker:innen und den besten Snack unterhalten.

Foto: Pascal Oswald
Foto: Pascal Oswald

OV: Schön, dass du da bist. Wie geht's dir? 

Johannes: Gut geht's mir. Bisschen müde. Die viele Fahrerei schlaucht so ’n bisschen. Ich hab so'n bisschen Angst vor den nächsten Tagen. Wir fahren morgen nach Wien, da müssen wir um 10 Uhr losfahren. Am Tag drauf fahren wir von Wien nach Dresden, da müssen wir um 9 Uhr losfahren. Im Schnitt kommen wir jeden Abend so um 1 oder 2 Uhr ins Bett, dann ist alles abgebaut und fertig, dann gehen alle nochmal duschen und dann wird das wenig Schlaf die nächsten Tage. Aber ich glaub das wird schön. Wir waren noch nie in Wien. Ich war einmal privat dort, finde die Stadt voll schön. Ich hoffe wir haben so ’n bisschen Zeit abends mal 'ne Runde um den Block zu gehen, paar Manner Waffeln kaufen (lacht)

 

OV: Wie war die Tour bisher? Gab es Highlights?

Johannes: Auf jeden Fall. Es ist fast jeder Abend ‘n Highlight, weil wir jeden Abend überrascht sind wieviele Leute doch kommen. Es ist halt grad was VVK angeht ‘ne schwierige Zeit für Bands. Wir mussten auch ein Konzert absagen aufgrund des geringen Vorverkaufs - das war in Bremen. Aber die restlichen Konzerte haben uns alle dann doch bisher überrascht. Es war dann abends immer doch gut gefühlt. Es ist jetzt nie proppenvoll, dass man sich nicht mehr bewegen kann. Das ist aber glaube eh eine Ausnahme in der jetzigen Situation. Aber es war jetzt nie so, dass man gesagt hat: “Das ist jetzt peinlich leer.” Es macht unglaublich viel Spaß. Die Leute haben richtig Bock auf die Songs. Ich guck immer während der Songs in die Gesichter und sehe wie ganz viele Leute die Texte mitsingen können. Das ist richtig schön.

OV: Gibt's dann einen Song, den ihr total gern live performt? Wo ihr merkt da kommt 'ne besondere Energie?

Johannes: Eine besondere Energie ist immer bei Wasser. Das ist auch so ’n Song wo wir immer 'ne Wall of Death mit dem Publikum probieren. Klappt bisher auch immer, ich klopf auf Holz. Generell müssen wir die Leute dazu nicht auffordern, die machen das mittlerweile schon fast von selbst. Wir fangen den ersten Refrain von dem Song an und direkt ist der erste Moshpit da - das ist echt krass. Ansonsten: die letzten Songs machen mir auch immer viel Spaß. Bisher war es jeden Abend so, dass spätestens dann alles komplett am eskalieren ist. Das macht auf jeden Fall sehr viel Spaß.

 

OV: Euer Album ist im Oktober erschienen. Gab es da ein Feedback oder ein Kommentar, der euch total im Kopf geblieben ist? Sei es positiv oder negativ.

Johannes: Ich glaub ich hab keinen Negativen gelesen. Ich versuche aber auch die Negativen nicht so viel zu lesen. Musik ist Geschmackssache. Da will ich mich gar nicht so viel mit auseinander setzen. Einer der im Kopf geblieben ist? Also mir ist auf jeden Fall im Kopf geblieben, dass ganz ganz viele positiv auf das Album reagiert haben. Was mich und uns sehr gefreut hat, war die Tatsache, dass viele Leute gesagt haben, dass das eine Platte ist, die man richtig gut am Stück durchhören kann. Das ist was, was uns extrem wichtig ist. Dass man sich nicht nur die Kirschen rauspickt. “Den Song mag ich. Der Rest gefällt mir nicht.” Es gab 'nen interessanten Moment. Was Statistiken und Online Zahlen angeht, ist ja so ’n bisschen Fluch und Segen. Auf einer Seite, weil man halt checkt was die Leute mit unserer Musik machen, aber Fluch, weil man sonst irgendwann nur noch auf Zahlen guckt. Es gab auf jeden Fall einen Anruf von unserem Label, der gesagt hat, was ihn überrascht, dass die Leute wirklich die ersten Wochen nach Release einfach das Album am Stück gehört haben. Normalerweise ist es eigentlich so, dass es Songs gibt die so rausreißen oder die Leute es gar nicht bis zu Ende hören, sondern die Hälfte schon beim 5. Songs ausgestiegen ist. Aber es war tatsächlich so, dass sie das durchgehört haben und das fast alle Songs, bis auf die, die natürlich als Single vorher raus kamen, einen sehr gleichen Playcount hatten. Das war schon echt cool zu sehen. Das hat uns sehr gefreut.

 OV: Wer sind eure größten Kritiker:innen?

Johannes: Die größten Kritiker sind auf jeden Fall wir selbst. Wir haben was Musik angeht 'n krasses Perfektionismus Denken. Hauptsächlich bei unserer Musik (lacht) Wir werkeln da richtig richtig lange dran bis wir halt sagen: Jetzt ist alles perfekt. Wir müssen da manchmal auch aufpassen und uns bremsen, weil zu viel Perfektionismus ich manchmal auch gar nicht gut. Wenn man im Studio irgendwann den zehnten Take eingespielt hat, wahrscheinlich war es bei den ersten drei schon dabei. Aber man denkt dann “Es muss noch, es muss noch…” Aber ansonsten gibt es so einen engeren Kreis an Leuten, das sind auch gerade die, die mit uns auf Tour sind. Unser FOH-Techniker, unser Tourmanager, Freund:innen von uns, den zeigt man dann schon mal, wenn man paar Demos fertig hat paar Songs und guckt wie die reagieren. Aber so sehr beeinflussen lassen würden wir uns davon auch nicht. Es gab aber auch noch nie die Situation, dass jemand gesagt hat: “Boah Leute, den Song würde ich an eurer Stelle nicht raus bringen.” (lacht)

OV: Gibt es für euch als Band eine Hürde über die man oft stolpert bzw. die man nehmen muss?

Johannes: Meinst du auf die Musik bezogen?

OV: Mir kam die Frage aufgrund des Songs ‘Stolpern’ - da hab ich mich gefragt was sind die Hürden als Band, über die man stolpert, aber schon auch meistert?

Johannes: Für mich persönlich ist auf jeden Fall die Erwartung an mich selbst eine der größten Hürde. Ich mach oft den Fehler, dass ich 'ne große Erwartung an Dinge habe, an Songs, an mich selbst vor allem. Und denke ich muss das so und so gut machen. Das führt dann entweder dazu, dass ich krass anfange zu prokrastinieren und gar nicht erst anfange, weil ich mir denke, ich kann das gerade eh noch nicht so gut, wie ich es machen müsste. Komme dann in Terminprobleme und Deadlines crashen. Andererseits führt es oft dazu, dass ich enttäuscht von Sachen bin von denen ich eigentlich gar nicht enttäuscht sein müsste, weil ich von Anfang an viel zu hohe Erwartungen an mich selbst habe. Worüber wir als Band im Gesamten oft stolpern ist generell Zeitplanung und Terminfindung. Das soll jetzt nicht so klingen, als wären wir so ein unkoordinierter Haufen (lacht) aber wir haben da schon richtig viel an uns gearbeitet und es ist trotzdem noch immer so, dass es besser gehen kann. Gerade heut wieder 'ne halbe oder dreiviertel Stunde sind wir zu spät gekommen, weil wir noch im Proberaum was ausladen wollten und gleichzeitig frischen Merch mitnehmen wollten. Dann war auf'n Weg dahin bisschen zu viel Verkehr und dann war auf'n Weg nach München bisschen zu viel Verkehr, hätten wir doch noch früher losfahren sollen, war jetzt nicht so, dass wir kurz vor knapp los sind. Das ist jetzt so ein einfaches Beispiel. Aber es geht auch um: Song Release ist in eineinhalb Monaten, wir müssten bis dahin noch das und das machen. Irgendwas bleibt safe immer auf der Strecke weil wir uns viel zu viel vornehmen und dann nicht alles schaffen. Das sind so Sachen über die wir stolpern.

OV: To-do Listen sind ja auch oftmals länger als die Motivation.

Johannes: Und vor allem länger als die Zeit, die wir haben. An der Motivation hapert’s eigentlich selten, mehr an der Zeit.


OV: Fällt es dir schwer dich  in den Texten so “nackt” zu machen?

Johannes: Es fällt mir beim Schreiben schwer. Es fällt mir aber nicht mehr so schwer wie früher. Auf der Bühne, wenn ich die Songs dann singe, habe ich damit eigentlich kein Problem. Hab ich noch nie drüber nachgedacht, aber ich denke mir dann halt, es ist ja eh draußen, die Leute kennen die Songs. Aber beim Schreiben fällt es mir schon schwer. Es hat sich aber auch so ein bisschen entwickelt. Früher waren unsere Texte deutlich verschachtelter und verklausolierter. Ich glaube, eine der Gründe war dafür, dass man sich dahinter so’n bisschen verstecken kann, wenn man’s nicht deutlich sagt, fühlt es sich nicht ganz so an wie nackt machen. Die Unterhose hat man noch an. Wir haben auf dem Album versucht komplett blank zuziehen und das auch nicht hinter irgendwelchen Formulierungen zu verstecken. Das war oft schwer, weil man sich oft auch gar nicht so sicher war, was ist eigentlich das Gefühl, das da zugrunde liegt? Ich kann ganz viele Metaphern dafür finden, aber warum mache ich das? Das war so ein Eintauchen in sich selbst und das war oft sehr schwer, weil man da oft auf unschöne Antworten getroffen ist. Das war auf jeden Fall ‘ne Entwicklung. Es fühlt sich sehr gut an, es so gemacht zu haben. Wir haben viel Resonanz darauf bekommen, dass die Leute das extrem gut finden und damit connecten. In ein paar Kritiken und Interviews, wurde darauf angespielt, dass wir für ‘ne Generation sprechen, und ich hab dann immer gesagt, das war nie die Intention. Sondern wir reden darüber, was uns halt bewegt. Aber wahrscheinlich haben wir es auf so einer Art und so deutlich gemacht, dass es extrem vielen Leuten aus der Seele spricht. Das freut mich natürlich dann extrem.

 

OV: In euren Youtube Kommentaren schrieb auch ein 70 Jähriger, dass er krass findet, dass eine junge Band ihm quasi gerade sein Leben erzählt bzw. dass er mit den selben Dingen struggled, womit junge Leute auch struggeln.

Johannes: An den Kommentar kann ich mich auch noch erinnern. Das fand ich auch richtig krass.
In Hamburg hat uns auch nach dem Konzert eine Frau geschrieben, dass unsere Musik und das Album ihr extrem viel bedeuten und dass sie uns mit 'nem Song entdeckt hat und ihre Tochter uns am Anfang gar nicht gemocht hat. Dann hat sie ihr den Song gezeigt und gemeint “Hör mal wirklich hin” und jetzt ist die Tochter auch Fan und die waren beide beim Konzert. Die Nachricht fing so an: dass sie auf dem Konzert gefragt wurde, ob sie die Mutter von einem von uns ist. Das fand ich halt so krass, wie breit das Publikum bei uns ist, wieviele verschiedene Altersgruppen da sind.

OV: Vor allem ist es nicht üblich, dass die Mama ihren Kindern Songs zeigt ...

Johannes: ... sondern eher andersrum.

OV: Mit welchen drei Wörtern würdest du das Album beschreiben? Und mit welchen drei Wörter würdest du generell eure Musik beschreiben?

Johannes: Hoffnungslos, hoffnungsvoll und versöhnlich. Weil ich finde auf diesem Album so ein Spagat. Deswegen heißt es auch Morgen ist auch noch kein Tag. Im Original ist der Spruch ja eigentlich positiv (Morgen ist auch noch ein Tag) und das fanden wir an dem Titel so spannend und das spricht auch für die Platte. Einerseits ist es so ein: die Welt wird eh untergehen, es ist egal. Eine sehr nihilistische Haltung und andererseits ist da aber auch die Hoffnung. Gerade bei Glücklich sein oder Gegen dich dieses “Hey es wird, vertrau drauf!” Diese Ambivalent finde ich eigentlich total spannend. Deswegen: hoffnungslos und hoffnungsvoll. Unsere Musik generell: schwer, erschlagend und deep.


Foto: Pascal Oswald
Foto: Pascal Oswald

OV: Beende bitte folgende Sätze

  • Wir sind die Band, die am Ende …

Johannes: … mit Feedback von der Bühne geht. Also Gitarrenverstärker Feedback.

 

  • Auf die Arche Noah würden wir … mitnehmen.

Johannes: Das beantworte ich persönlich, das kann ich von den Jungs nicht wissen. Ich würde auf die Arche Noah Koalabären mitnehmen. Geilstes Tier ever. 20 Stunden schlafen sie am Tag, vier Stunden verbringen sie damit zu essen und das war’s. Spirit Animal. (lacht)

  • Eine Kind Kaputt Show ist besonders …

Johannes: … ergreifend.
Ich mein, weil wir oft von den Leuten hören, dass es wie ein Film durchläuft. Das fängt an, Dinge passieren und dann ist es vorbei und man ist so “Boah krass!” Das ist was uns extrem freut und was wir erreichen wollen. Wir sind nicht unbedingt die Band, die die ganze Zeit “Jetzt springen alle, jetzt machen das alle..” sagt. Wir machen das auch bisschen für den Vibe, aber unser Hauptziel ist eigentlich, dass es reinigend für die Leute ist. Dass man es sich anguckt und wie bei einem guten Theaterstück gebannt und gefesselt zuschaut und danach sich denkt “Krass!”. Fabi hat mal gesagt (unser viertes Bandmitglied) er möchte eigentlich dass nach einer Kind Kaputt Show keiner Zugabe ruft, weil alles perfekt ist. Es gibt Konzerte, da braucht man keine Zugabe, weil es ist alles gesagt. Das heißt trotzdem, dass die Leute gerne Zugabe rufen dürfen (lacht) Wir haben da was vorbereitet.

 

OV: Du singst und auf eurem Beutel steht: “Alles was mir schmeckt ist leider ungesund”

  • Der beste ungesündeste Snack ist:

Johannes: Das ist richtig geil, dass du das fragst. (lacht) Wir haben uns da sogar mal überlegt ‘ne Aktion zumachen und uns von den Leuten ihren liebsten ungesündesten Snack zeigen zu lassen. Ich hoffe die Jungs erschlagen mich jetzt nicht, wenn ich was falsches sage, aber Conna isst sehr gerne diese riesigen Milka Maxx Tafeln, also so mit Toffee, Karamell, die mit allem sind.

Mathis ist sehr gerne für Kesselchips zu haben. Und bei mir ist es momentan Kinder Maxi King.

OV: Wie vergeht denn die Zeit am schnellsten/besten auf der Autobahn?

Johannes: Mit Gesprächen. Ich bin überrascht, aber wir reden immer noch sehr viel auf den Autofahrten, obwohl wir uns jetzt schon seit vielen Jahren kennen. So viel reden kann ich nicht, weil ich versuche meine Stimme zu schonen. Ansonsten Musik hören, ganz viel. Wir zeigen uns ganz viel eigene Songs. Wir hören aber auch ganz viele Guilty Pleasure Songs. Ich mach die sehr gerne an, ich lieb sowas. Für mich ist das auch eigentlich kein Guilty Pleasure, einfach nur ‘n Pleasure. Britney Spears ist einfach nur ein Pleasure. Punkt. ABBA genau so. Apropos ABBA - das ist auch der Opener bevor wir auf die Bühne gehen. Der wird dann so ein bisschen lauter gemacht, dass man checkt: Okay es geht gleich los. Ich liebe ABBA. Ansonsten: Podcasts. Bisher noch nicht so viel, weil wir noch genug zu bereden haben. Aber ich denke mal morgen auf den langen Fahrten. Dann ist es meistens so: der Fahrer ist auf jeden Fall wach, Beifahrer für Shotgun und die Rückbank ist dann schon viel am Schlafen. Andersrum wär’s ungünstig. 

OV: Du darfst jetzt euer Album Cover malen, aber mit einem anderen Spielgerät, statt der Schaukel.

Johannes: Uh okay, geil. Der Trick ist natürlich, ich darf mir jetzt unser Artwork nicht nochmal angucken. Ich weiß natürlich, was drauf ist.

 


OV: Warum die Wippe?

Johannes: Dieses Konzept mit den Spielgeräten, das war so 'ne Idee die wir hatten und umsetzen wollten in Kombination mit Kind Kaputt. Die Ursprungsidee war, wir wollen irgendwelche Sachen, die nicht funktionieren. Wie mit der Schaukel gegen die Wand schaukeln. Wir hatten auch erst Treppen, die ins Nichts führen. Wir sind dann halt irgendwann bei den Spielplatzdingern gelandet. Wir haben bei ‘ner Wippe nichts gefunden, wie man sie so verändern könnte. Schaukel war dann das einfachste. Aber Wippe war im Gespräch.

 

OV: Vielen Dank für deine Zeit und deine Antworten.

Johannes: Sehr gerne. Vielen Dank für die guten Fragen. Das hat Spaß gemacht.