Interview: SPERLING - "Ich hatte bei dem Album meistens das Gefühl ankommen zu wollen"

Alisa Knoll | 19. Februar 2024

Am 23. Februar erscheint das neue SPERLING Album "Menschen wie mir verzeiht man die Welt oder hasst sie" via Uncle M Music. Wir haben mit SPERLING Sänger Jojo im Interview unter anderem über den Entstehungsprozess und die Bedeutung der neuen Platte gesprochen.

Foto: (c) Roman Ricken | @crankmerino
Foto: (c) Roman Ricken | @crankmerino

OV: Hi Jojo! Schön, dich zu sprechen. Wie geht's dir denn, so kurz vor dem Album Release?

Jojo: Gut. Man ist sehr aufgeregt vor dem Release, man freut sich natürlich sehr darauf; auf die ganzen Songs, die man so lange in der Pipeline hatte und sich viel damit auseinandergesetzt hat. Das ist mit jedem Tag ein bisschen aufregender, wie es letztendlich ankommt. Wir hören oft Stimmen, die sehr beflügeln, aber auch Stimmen, die sich aufs Album freuen, die sagen “Die Single hat uns gut gefallen”. Man macht sich ein bisschen Druck von innen, weil man dem gerecht werden will und die Leute, die sich darauf freuen, abholen will. Es ist natürlich auch sehr viel zu tun. Organisation und Planung. Es ist eine Mischung aus großer Vorfreude, ein bisschen Aufregung und viel Arbeit.

 

OV: Kannst du uns etwas über den Entstehungsprozess erzählen? Gab es Unterschiede zum ersten Album? War es eher chaotisch oder durchgetaktet?

Jojo: Unterschiede zum ersten Album gab es auf jeden Fall. Beim ersten Album haben wir viel über die Zeit weg hingeschrieben, bevor wir den Plan hatten, ein Album zu schreiben. Wie man das als Band macht: Man trifft sich regelmäßig. Da haben wir auch noch alle sehr nah beieinander gewohnt und relativ leicht zueinander gefunden. Wir hatten da noch viel Zeit, keine Vollzeitjobs, waren nebenbei in der Schule oder studieren. Da haben wir uns regelmäßig gesehen, gejammt und am Ende sind dabei Songs rausgekommen und wir haben uns entschieden, wir machen ein Album - welche Songs nehmen wir dafür? Beim zweiten Album war es so, dass wir uns gezielt hingesetzt und gesagt haben: "Okay, wir fangen jetzt an, das zweite Album zu schreiben.” und dann hat Malte den kreativen Songwriting Prozess, bis auf die Texte, übernommen. Viel Zuhause geschrieben, Demos geschrieben, wir haben uns zu zweit getroffen.

 

Dadurch, dass die ganze Band wächst, ist natürlich auch mehr zu tun und weniger Zeit. Alle sind relativ weit auseinandergezogen, alle haben angefangen zu arbeiten und wie das eben so läuft, wird es dann immer ein bisschen komplizierter, sich regelmäßig zu treffen. Am Ende war dann wenig Zeit. Dann sind Josh und ich zu verschiedenen Zeiten in der Vorproduktion krank geworden. Da haben wir ein bisschen Zeit verloren. Der Songwriting Prozess war… chaotisch, klingt immer so negativ. Es war einfach ein bisschen anders. Wir hatten viele verschiedene Orte, viele verschiedene Parts. Da war mal ne Demo drin, wo ein halber Text drauf war. Da war mal ‘ne Strophe, Refrain. Es war viel durcheinander.

 

Paar Tage bevor es in die Vorproduktion ging, haben wir uns alle hingesetzt und alle das Album das erste Mal richtig von vorne bis hinten angehört. In Mannheim war die Vorproduktion mit Beray. Danach waren wir in den Studios, einmal im Tonstudio Liebling und im Toolhaus Studio.

OV: Würdest du dann sagen, die Zeit war eher angenehm oder anstrengend?

Jojo: Es war schon eine herausfordernde Zeit. Es war viel in kurzer Zeit zu erledigen. Das ist auch das, was wir lieben – neue Sachen auszuarbeiten, kreative Sachen zu erschaffen. Der ganze Prozess dazu ist natürlich anstrengend, aber es macht auch immer viel Spaß. Die Produktionszeit war insgesamt schon eher angenehm.

 

OV: Der Albumtitel “Menschen wie wir mir verzeiht man die Welt oder hasst sie” ist deutlich länger als zum ersten Album. Gibt es da Auswahlkriterien bei euch oder ist das nur eine ästhetischer Aspekt? Wie kam es zu dem langen Albumtitel?

Jojo: Ich glaube, weil das so wie bei Zweifel der Satz ist, der das Album am besten repräsentiert, der sich thematisch in jedem Song ein bisschen finden lässt. Der Titel rührt ein bisschen daher, dass ich lange Zeit aus verschiedenen Aspekten mit mir selbst zu kämpfen hatte, bis heute. Viel Unzufriedenheit mit mir, sich nicht richtig um sich selbst kümmern zu können... Dementsprechend fällt es einem noch schwerer, sich um andere zu kümmern beziehungsweise Kontakte und Beziehungen zu pflegen. Darunter leiden dann eben andere Menschen. Freundschaften, Beziehungen, generell Verhältnisse. Wenn es dann immer so weitergeht und man dadurch immer wieder Rückschläge bekommt, was auch verständlich ist, weil niemand auf einen wartet. Irgendwann ist man an dem Punkt, an dem man sagt: "Hey, ich kann es gerade nicht ändern". Ich bin scheinbar jemand, dem man alles verzeiht. Oder halt nicht. Aber dann kann ich es gerade nicht verbessern. Das ist dieser Satz. Eine trotzige Haltung hat es auch, aber auch viele Selbstzweifel. Das findet man eben in den meisten Songs wieder.

 

OV: Für welche Situation eignet sich das Album?

Jojo: Ich hatte bei dem Album meistens das Gefühl unterwegs zu sein, auf dem Weg irgendwohin zu sein, irgendwo ankommen zu wollen. Es hat generell viel Aufbruchstimmung. Viel Suche nach Veränderung und Optimierung. Deshalb habe ich oft den Eindruck gehabt, wenn ich das Album gehört habe, dass man irgendwo unterwegs ist. Als ich das Instrumental zu Meer gehört habe, klang es für mich, als würde man mit Kragen hochgeklappt, Kopf nach unten, Hände in den Taschen durch eine kalte Gegend ziehen und gegen Wind anlaufen. Dann kam mir schnell ein Bild von Meer, Kalt, Wasser und die unüberwindbare Aufgabe. Deshalb glaube ich, dass man es sehr gut hören kann, wenn man unterwegs ist, wo man gar nicht so gern unterwegs sein will.

OV: Egal ob thematisch oder als Sinnbild – man findet die Begrifflichkeiten Meer/Ozean oft auf dem Album. Was ist denn das Beste am Meer oder am Ozean?

Jojo: Ich muss sagen, ich bin persönlich nicht so ein riesiger Fan vom Meer (lacht), weil mir das auch immer ein bisschen Angst macht, weil es so ein riesiges Element ist. Ich vergleiche es gern mit Gebirgen und Bergen, so unüberwindbar und unergründlich. Das finde ich auf der einen Seite beängstigend. Vor allem dieses Gefühl, man sieht nichts unter einem, man weiß nicht, was da gerade rumschwimmt. Bilder von Schiffswracks machen mir ein ganz unangenehmes Gefühl. Ein dunkles Objekt in einem unendlichen Raum einfach. Mitten im Meer zu sein, man sieht ja hinten und vorn kein Land mehr. Deswegen hat es was Beängstigendes. Aber auch was total Beeindruckendes, Interessantes und Spannendes, weil man eben nicht weiß, was da auf einen zu kommt. Deswegen finde ich das ein sehr schönes Bild für eine Reise. Weil es erstmal unmöglich aussieht, alleine ein ganzes Meer zu überwinden, aber gleichzeitig ist es auch beeindruckend. Man weiß nicht so ganz wo man ankommt und was so passieren kann.


OV: Ich lese dir YouTube Kommentare vor und du darfst raten, unter welchem Video von euch diese stehen.

  • “Überhaupt nicht meine Sparte Musik, aber es lief im Radio und hat kurz komplett mein Leben gefickt.”

Jojo: Fuck. Das kenne ich sogar.  Ich erinnere mich an diesen Kommentar. Ich war ein bisschen stolz. Ich kann’s dir nicht sagen. Ich sag “Angst” - bitte sag mir, dass das stimmt.

OV: Leider nein.

Jojo: “Es geht”? (grinst)

OV: Nein. Der Kommentar steht unter "November".

Jojo: Ich wusste, dass es nicht so alt ist, dass es vom ersten Album sein kann, aber ich dachte auch nicht, dass es so neu wäre.

  • “Klingt gut, aber leider sehr weiß die Band”

Jojo: (lacht)
Trifft ja auf jeden Song zu, wir sind ja weiß. Ich glaube, der ist tatsächlich ein bisschen älter, oder?

OV: Ja, aber nicht vom ersten Album.

Jojo: "Schnee" vielleicht? Sonst muss es "Es geht" oder "Angst" sein.

OV: Ja, es ist "Es geht".

  • Heisskalt rufen an sie wollen ihren Stil zurück.”

Jojo: Das ist ja gemein (lacht). Was ist denn sehr Heisskalt-mäßig? Ich kann nicht schon wieder "Angst" sagen.

OV: Ist es auch nicht.

Jojo: Du hast dir da keinen Kommentar rausgesucht, ne? Ist immer mein erster Call. (lacht)
Ich kann’s dir nicht sagen. "Mond" glaube ich nicht. Das ist nicht so klassisch Heisskalt-mäßig.

OV: Der ganze Kommentar lautet eigentlich: “(...) sie wollen ihren Stil und Songtitel zurück”.

Jojo: Stimmt, die haben auch einen Song, der "Mond" heißt. Von Heisskalt gibt es schon ein, zwei Songs, die in die Sparte passen, stimmt.

 

OV: Die Heisskalt-Referenz fiel ein paar Mal in der Kommentarspalte. Macht das was mit dir bzw. stört dich das, wenn ihr direkt mit Bands verglichen werdet?

Jojo: Ach eigentlich nicht. Früher war das bestimmt mal so, dass man unique sein und sich mit keinem vergleichen lassen will. Aber das ist auch ein bisschen Quatsch. Die Musik, die man macht, ist immer von irgendetwas inspiriert. Ich bin nicht in der Lage, etwas komplett Neues zu schaffen, was so noch nie dagewesen ist. Ich finde auch, dass es sogar ein bisschen hilfreich sein kann für Leute, die mit der Musik oder dem Namen erstmal nichts anfangen können. Wenn ich denen sage das ist “Rap mit Cello und Post Hardcore” dann fragt man sich “Was passiert da so?”. Aber wenn man zwei, drei Referenzen hat… Heisskalt, FJØRT und Casper tauchen da oft auf. Da fühlen wir uns auch wohl. Das sind alles coole Künstler, mit denen wir verglichen werden. Also nein. Es ist eher was Gutes inzwischen. Und wenn man sich mit der Sache beschäftigt, dann merkt man schon den Unterschied zwischen z.B. Heisskalt, Casper und uns. Von daher ist das vollkommen okay.

OV: Neue Hörer:innen hören vermutlich eher rein, wenn sie direkte Vergleiche/Beispiele haben. So funktioniert am Ende ja auch der Algorithmus.

Jojo: Ja, voll. Und man kriegt ja bei TikTok und Instagram immer mal wieder Videos, in denen Leute ihre Musik bewerben mit "Hey, du magst das, das und das. Dann hör dir mal das an!”. Man fühlt sich in einer bestimmten Sparte ja auch wohl, dann ist es ja cool, dort neue Sachen vorgestellt zu bekommen.

 

OV: Zum Stichwort “Inspiration” - viele Leute haben in euren Kommentaren geschrieben, dass sie sich durch die Texte verstanden und gesehen fühlen. Gibt es für dich auch Musiker:innen/Bands, die dich auch auf diese Art abholen oder dein Safe Space sind?

Jojo: Auf jeden Fall. Es gibt vor allem in der Rap Szene einige, die ich sehr cool finde und bestimmt unbewusst Sachen abgucke. Fabian Römer taucht immer wieder in Vergleichen von anderen auf und da fühle ich mich super wohl mit. Fabian Römer mag ich sehr sehr gerne. Auch seine Art zu schreiben löst das bei mir aus. “Ey der beschreibt gerade genau das was in mir vorgeht”. Lance Butters hat das auch sehr oft. Von dem hör ich auch viele Sachen. Von aktuelleren Sachen fällt mir Schmyt ein, der das auch super gut macht. Es ist ja die Kunst, einfache Sachen schön zu beschreiben, ohne sich zu verkünsteln, ohne einen Roman schreiben zu müssen. In zwei, drei Sätzen auf den Punkt gebracht und sofort den Kern in einem berührt. Paula Hartmann gefällt mir auch sehr gut. Sie hat auch eine krasse Art zu schreiben.

 

OV: Fühlst du dich dann generell eher wohler in der Deutschrap Szene?

Jojo: Diesen Vergleich, den man auch immer wieder mit sich selbst macht, das sind natürlich deutsche Künstler:innen, weil es einfacher ist. Ich bin bspw. riesengroßer Eminem Fan, aber den würde ich mir nicht so als Inspiration dazu holen, weil es für mich eine andere Art von Musik ist und eine andere Art zu schreiben. Wenn es um Inspiration geht, bei dem was ich gerne mache, dann sind das eher deutsche Künstler:innen.

OV: Kannst du uns etwas zur Zusammenarbeit mit Lucas Mayer erzählen, der eure Artworks für Alben und Singles gemacht hat?

Jojo: Wir lassen ihm ziemlich freie Hand. Wir geben ihm das Album oder die Singles. Er hört sich das an und macht, was ihm dazu einfällt. Man schickt sich immer wieder Sachen hin und her. Das ging jetzt auch relativ schnell. Es waren schon immer mal wieder Sachen dabei, wo wir gesagt haben “Vielleicht kannst du uns noch was anderes anbieten”. Es ist ja immer sehr subjektiv. Es kommt auch darauf an, wie die Stimmung ist und dass es einen selber gerade abholt. Es ist nur schwierig, wenn man das Artwork auch so verkünsteln will. Wenn man ein Artwork oder Cover bekommt und sagt “Das ist cool, aber ich würde gern dies und jenes noch anders haben… Das gefällt mir nicht, das ist wieder cool…”, dann blockiert man den kreativen Prozess des Schaffenden. Aber gerade am Beispiel Lucas Mayer ist das eine sehr angenehme und unkomplizierte Kommunikation. Und eben auch ein sehr sehr schönes Ergebnis.

 

OV: Wann gehst du aus deiner Komfortzone raus in Hinblick auf Social Media? Ist das noch in deiner Komfortzone oder schon außerhalb?

Jojo: Es kommt darauf an. Ich erweitere meine Komfortzone was Social Media angeht immer ein bisschen und verliere ein bisschen die Hemmschwelle, aber bei vielen Sachen auch noch nicht. Mich nervt dieses ganze Durchgeplante und Durchorganisierte. Auf den Algorithmus achten, zu welcher Zeit postet man was, in welchem Format passiert was, in den ersten Sekunden muss das und das passieren, damit die Leute damit reagieren. Das ist alles ein riesengroßer, komischer Organisation Apparat geworden. Es hat nicht wirklich mehr was cooles Kreatives. Ich finde Social Media Plattformen sind an sich ein saugutes Kommunikations-Tool, wofür sie auch eigentlich gedacht sind. Eine soziale Basis, um mit den Leuten zu connecten. Zu checken, wer sind eigentlich die Leute, die unsere Musik hören. Was sagen sie, was wollen sie, worauf haben sie Lust oder auch nicht. Da ist auch ganz viel dabei, was nicht so viel Spaß macht und da verlasse ich auf jeden Fall meine Komfortzone. Generell bin ich nicht der Typ, der ständig was nach außen präsentieren muss. Ich bin privat auch gerne lange alleine und brauche nicht jeden Tag Action und Kontakte zu anderen.

 

Deswegen mache ich es gerne so, dass wir ein cooles Produkt haben, das ausarbeiten und das dann raushauen können. Aber wenn der Algorithmus einem sagt, du musst zu der und der Uhrzeit posten, dann fühl ich mich ein bisschen blockiert, fast schon ohnmächtig.


OV: Dann bleibt die Kreativität, sich frei zu entfalten, auf der Strecke.

Jojo: Genau, wie du sagst, dieses kreative Entfalten fehlt einem gefühlt. Ich mein, man kann sich dort schon entfalten oder eigentlich alles machen. Es gibt keine Grenzen, das ist schon cool. Aber dadurch wird es auch wieder zu einer Hürde, wenn man so viel machen und beachten muss.

 

OV: Hast du für dich/für die Band dieses Jahr Wünsche oder Ziele, die ihr erreichen wollt?

Jojo: Ziel oder Wunsch ist natürlich, dass das Album gut ankommt. Dass die Leute sich freuen, aber auch überrascht sind an vielen Stellen, weil sie nicht nur vorgesetzt bekommen, was sie vom ersten Album schon kennen. Auf die Tour mit den ROGERS freuen wir uns. Aber wir freuen uns auch, wenn wir eine eigene Tour spielen. Das ist auf unserer to-do Liste noch sehr weit oben: eine eigene Tour zum Album zu spielen. Im Moment können wir dazu noch nichts genaues sagen, aber der Plan ist es, das zu machen.

 

OV: Abschließend darfst du noch zwei Songs auf unsere Artist Finest Playlist packen. Einen Song von euch und einen Song, der euch allen gut gefällt. Und vielen Dank für deine Zeit und Antworten!