Sarah Weinberg & Alisa Knoll | 10.08.2023
Am 4. August spielten KRAFTKLUB im Zuge ihrer KARGO Open Airs in der Wuhlheide Berlin. Das mit 17.000 Besucher:innen ausverkaufte Konzert war die erste von zwei Shows auf der Freilichtbühne im Berliner Osten. Wir durften beim Konzert dabei sein und haben unsere Erlebnisse und Eindrücke im folgenden Konzertbericht zusammengefasst.
Support an diesem Abend waren TRÄNEN. Das noch junge Bandprojekt, bestehend aus Sängerin Gwen Dolyn und Kraftklub-Gitarrist Steffen Israel, veröffentlichte bislang zwei Singles: "Stures dummes Herz" und "Duell der Letzten", ein Cover der Band Chaos Z. Das Publikum in der Wuhlheide durfte sich also auf viele neue Songs im Programm freuen.
Um 20 Uhr eröffneten TRÄNEN den Konzertabend, die Location war zu diesem Zeitpunkt schon fast komplett gefüllt und die Stimmung sichtlich gut. Die Zeit zwischen den Songs nutzte Sängerin Gwen für Ansagen, in denen sie unter anderem auf die aktuelle Weltlage und Missstände aufmerksam machte. Dass der Großteil der Songs im Programm noch unveröffentlicht sind, hinderte das Publikum nicht daran, sich tanzend und klatschend der Musik hinzugeben. Besonders die bereits bekannte Single "Stures dummes Herz" animierte die Zuschauer:innen zum Singen und Tanzen. Am 3. November erscheint das TRÄNEN Debütalbum "Haare eines Hundes", das man hier vorbestellen kann.
Um 20:50 Uhr war es dann Zeit für KRAFTKLUB. Der rote Vorhang, der nach dem Auftritt von TRÄNEN die Bühne verhüllte, öffnete sich und die Chemnitzer Band begann die Show mit ihrem Song "In meinem Kopf" und einer großen Ladung Konfetti. Ein eindrucksvoller Start in eine lange Konzertnacht, der die Stimmung von der ersten Sekunde an aufheizte.
Einige Besucher:innen wählten bewusst die Rangplätze, aber nicht, um die Songs im Sitzen zu verbringen: Es wurde vom ersten bis zum letzten Ton zwischen den Reihen getanzt, gesprungen und gesungen. Gleiches Spiel auch unten im Infield. Hier nur mindestens doppelt bis dreifach so ausgelassen und extrem. Fans brachten ein buntes Schwungtuch, wie die meisten es nur noch aus ihrer Kindergartenzeit kennen, mit in die Crowd. Oder zündeten, ähnlich wie die Band selbst, Pyrotechnik zum Song “Schüsse in die Luft".
Das KARGO Open Air bot nicht nur eine abwechslungsreiche Setlist aus alten und neuen Songs, sondern sorgte regelmäßig für Highlights mit Konfetti, Pyrotechnik und einer spektaluären Licht- und Bühnenshow. Wenn der/die Besucher:in sich vom Vibe der Show mitziehen ließ und dachte: 'Jetzt sind wir am Höhepunkt der Show', setzte die Band kurze Zeit später noch einen drauf. Auch das Glücksrad, das Kraftklub schon seit längerer Zeit bei ihren Konzerten nutzen, kam zum Einsatz. Dafür wurde ein Fan aus dem Publikum ausgewählt und durfte am Rad drehen, um den nächsten Song auszuwählen.
Es dauerte nicht lange, bis die Sonne hinter den Bäumen in der Wuhlheide unterging und die blaue Stunde eine magische Atmospähre in dieser beeindruckenden Location kreierte. Ab diesem Zeitpunkt entfaltete auch die bis ins letzte Detail durchdachte Lichtshow ihre Wirkung. Licht gab es aus jeglichen Winkeln; einfach, mehrfach und farbig. Sei es ein großer Scheinwerfer, der Sänger Felix anstrahlte, einen Lichtkreis und seinen Schatten auf den Vorhang warf. Oder die Lichterfront/Lichterdecke, die ständig in Bewegung war und für Atmosphäre von oben sorgte. Diese wurde im Set zu einer “schwebenden” Bühne umfunktioniert, die neben Gitarrist und Sänger Karl (beim Song "Angst") auch ein paar Fahnenschwenker:innen ("Randale") nutzen. Je länger die Show dauerte, desto größere und mehr Kreise entstanden in der Crowd, bis manche ineinander verschmolzen. Auch Neuinterpretationen von älteren Songs waren Teil der Setlist. Der Song "Liebe zu Dritt" (Album: Keine Nacht Für Niemand) wurde zu einem beat-lastigen Remix umfunktioniert, Kraftklub begleiteten diese Sounds dann mit einer Art Tanz-Choreographie. Die Menge war begeistert!
Für den Song "Kein Liebeslied" begaben sich KRAFTKLUB in die Mitte des Infields. Die Menge um sie herum setzte sich, damit alle eine gute Sicht auf die Band hatten. Die Wuhlheide verwandelte sich in ein Handylichter-Meer und Band und Fans verschmolzen. Im Anschluss folgte der KUMMER Song "Bei Dir". Ein Lichtermeer und 17.000 Menschen, die gefühlvoll den Song mitsingen. Anders als magisch kann man Momente wie diese wohl nicht beschreiben. Im Anschluss kehrten alle außer Sänger Felix und Bassist Till zurück auf die Bühne. Felix und Till stellten sich in der Menge auf eine bereitgestellte Box und stimmten den Song "500K" an, das Infield verwandelte sich binnen Sekunden in einen kochenden Kessel, der gegen Ende des Songs die beiden Musiker dann auf den Händen tragend wieder richtung Bühne brachte.
Einen einzigen Höhepunkt der Show kann man nicht bennenen. Ein Song, auf den das Publikum jedoch sichtlich wartete, war "Randale". In der Mitte des Songs begannen die Zuschauer:innen sich dann hinzusetzen, sowohl im Infield als auch auf den Rängen. Sänger Felix erklärte darauf, dass diese Reaktion des Publikums schon immer so passierte, obwohl es den Song auf keinem Album gibt. Eine Live-Dynamik, die sich über die Jahre bei Konzerten der Band entwickelte. Der Refrain des Songs setzte im Anschluss ein und baute sich auf, bis zu dem Punkt an dem das komplette Publikum aufsprang, Gegenstände wie Konfetti, Becher o.ä. in die Luft warf und sich zu einem riesigen Pogo vermischte. An dieser Stelle betreten wie gewohnt Fahnenschwenker:innen die Bühne.
Neben ihren eigenen “Randale”-Fahnen, schwangen auch die Pride, die Inter*Progress-Pride und eine FCK AFD Flagge. Es wurde schon etwas früher und mehrmals von Sänger Felix angesprochen, wie ihre (politische) Haltung ist; sicherlich den meisten Besucher:innen auch bekannt. Besucher:innen erleben die Dynamik auf und vor der Bühne, sehen die riesigen Flaggen wehen und fühlen sich an diesem Abend für einen kurzen Augenblick gesehen und vielleicht auch weniger alleine. Viele Konzerte sind ein Safe Space und die Bubble der Menschen, in der sie am liebsten verkehren. Das hat uns dieser Abend auch wieder gezeigt. Mensch braucht solche Abende, um wieder etwas Hoffnung und Glauben an die Menschheit zu schöpfen, auch wenn die Welt wortwörtlich brennt. Dort draußen sind viel mehr gute Menschen, als wir manchmal glauben. Umso schöner ist es, wenn sich ganz viele davon aus dem selben Grund treffen und sie selbst sein können.
Das Konzert begann mit einem Knall und so endete es auch. Auch zum Abschluss der Show wurde viel Konfetti in die Menge geschossen, die Lichtshow erleuchtete den sternenklaren Nachthimmel über der Wuhlheide. Nach über zwei Stunden ertönten die letzten Klänge, die Band wurde im abklingenden Konfettiregen lautstark und euphorisch vom Publikum gefeiert und ein ereignisreicher, spektakulärer und abwechslungsreicher Abend ging zu Ende. Vielen Dank an Landstreicher, dass Old Vinyl ein Teil davon sein durfte. Für das letzte KRAFTKLUB KARGO Open Air in Dresden am 2. September gibt es hier noch Tickets.
An dieser Stelle möchten wir noch auf einige Konzerterlebnisse von FLINTA* Personen aufmerksam machen. Wie schon beschrieben, sind Konzerte oftmals Safe Spaces und eine kurze Flucht aus der Realität. Das wünschen sich zumindest viele von so einem Abend.
In den sozialen Medien haben wir nach diesem Konzert allerdings auch von erschreckenden und absolut zu verurteilenden Vorfällen und Verhaltensweisen gelesen. So wurde zum Beispiel berichtet, dass sich viele stark alkoholisierte Männer während der Moshpits und Pogos an keinerlei Regeln hielten. Teilweise wurde brutal mit anderen Fans umgegangen, besonders mit FLINTA*. Viele dieser beschriebenen Personen nahmen laut Berichten oftmals ignorant zu viel Raum ein, es kam zu Verletzungen und nicht einvernehmlichen Berührungen. Viele FLINTA* Personen würden sich wünschen, dass sie genauso ungehemmt in Pogos und Moshpits rennen können, ohne zu fürchten, dass ein Mann sie bevormundet, indem er sie aus dem Pogo versucht zu eskortieren oder nicht weiß wohin mit seiner Kraft und andere schwer verletzt. Oder eben auch einfach das als Einladung nimmt, weiblich gelesene Personen anzugrabschen. Deshalb braucht es mehr FLINTA* Pits, die im besten Fall von der Bühne aus kommuniziert werden. Wir wollen genauso ausrasten, aber unbeschadet auch wieder herauskommen. Es ist uns besonders bei Konzerten wie diesen ein Rätsel, dass so viele Männer auch die Ansagen der Band ignorieren. Sänger Felix betonte während der Show, dass KRAFTKLUB Konzerte ein Safe Space für ALLE Menschen sein sollen und dass sich ALLE Menschen, besonders FLINTA*, sicher fühlen sollen. Wir hoffen hierbei besonders auch auf Männer, die ein solches Fehlverhalten bei ihren Freunden feststellen. Kommuniziert Missstände, achtet auf euren Alkoholkonsum und sprecht mit euren Freunden, wenn sie sich nicht korrekt verhalten. Nur so können wir alle zusammen unbeschadete und sichere Konzerte erleben, bei denen sich jede Person wohlfühlt.